Frauenwürde als Menschenwürde
– Die Zusammenhänge der Theologie und Anthropologie aus ostmitteleuropäischer Sicht
St. Stephen's Basilica, Budapest |
Zur Geschichte der Vorbereitung
Die Bereitschaft zur Veranstaltung der Regionalkonferenz ESWTR 2010 wurde von der ungarischen Sektion erst an der Regionalkonferenz in Cluj/Klausenburg (Rumänien) im September 2008 verkündet. Schon einen Monat später begann die Arbeit am Konzept.
Es wurden Ziele gesetzt, für die sich alle Mitglieder ungarischer Sektion einsetzen konnten. Alle waren der Meinung, dass sie fähig sind, die von verschiedenen historischen Faktoren belasteten ost-mittel-europäischen Beziehungen durch aufrichtige, menschenorientierte, doch zugleich sachliche Zusammenkunft aufzubauen und zu bereichern.
Zwecks koordinierter Vorbereitung wurde ein neuer Verein unter dem Namen „Magyarországi Teológusnők Ökumenikus Egyesülete” (Ökumenischer Verband der Theologinnen Ungarns) gegründet. Von Anfang an strebten die Theologinnen Ungarns nach kollegialen Beziehungen zur „Männertheologie“ und Zusammenarbeit mit allen gesellschaftlichen Schichten Ungarns. Deshalb wurden zu einer der Sitzungen des Vereins männliche Sympathisanten eingeladen, um Gedanken und Meinungen auszutauschen.
Im Rahmen des Vereins begann eine vielseitige Tätigkeit, die einerseits den ökumenischen Dialog zwischen christlichen Kirchen sowie das Gespräch zwischen Christen und den nicht christlichen Glaubensgemeinschaften Ungarns ermöglichte. Andererseits bewegte und ermunterte der Verein die Frauen zu weiteren Forschungen auf dem ethnisch-religiösen Gebiet. Dabei wurde es immer klarer, dass ohne richtige Öffentlichkeitsarbeit weder neue Mitglieder noch Sympathisanten bzw. Sponsoren gewonnen werden. Darüber hinaus kann eine der Hauptaufgaben des Vereins – der Beitrag zur Besserung der Gesellschaft – ohne Hilfe der offiziellen Presse nie oder nur sehr schwierig erfüllt werden.
Im Interesse der effektiven Vorbereitung wurde im Winter 2010 „eine Generalprobe“ – Workshop - veranstaltet, bei der die Frauen aus Rumänien und Ungarn über ihre jüngsten Forschungen vor Ort berichten konnten.
Über Teilnehmer und Sponsoren der Regionalkonferenz
Lutheran Theological University (EHE) |
Vom 26. bis 29. August 2010 wurde die Evangelisch-Lutherische Theologische Universität in Budapest zum Standort der regionalen ost-mittel-europäischen Theologie-Werkstatt zum Thema „Frauenwürde als Menschenwürde. Die Zusammenhänge der Theologie und Anthropologie aus ostmitteleuropäischer Sicht“. Außer ungarischen Konferenzveranstalterinnen kamen Kolleginnen aus Albanien, Tschechien, Kroatien, Polen, Lettland, Rumänien und Slowenien. Mit großer Freude wurde die Vorsitzende von ESWTR Prof. Dr. Angela Berlis an der Konferenz begrüßt, die nicht nur an allen Veranstaltungen unermüdlich beteiligte, sondern auch einen sehr aktuellen Referat zur Frauenordination abhielt. Viele – darunter auch die ungarische Presse – warteten auf diesen Vortrag mit besonderem Interesse.
Unmittelbar vor der Konferenz wurde der Verein der Theologinnen Ungarns vom Radio Vatikan um ein Interview gebeten, an dem drei Frauen – Vertreterinnen der römisch-katholischen und lutherisch-evangelischer Kirche sowie Repräsentantin der jüdischen Religionswissenschaft teilgenommen haben. An der Konferenz erschien die ungarische Fernsehsendung „Katholische Chronik“, welche weitere Frauen, darunter die Vorsitzende von ESWTR Prof. Dr. Angela Berlis zu den aktuellen Themen der Frauentheologie befragt hat.
Mehrere Zeitungen – darunter auch ungarische Tagespresse – berichteten über die Konferenz als ein positives gesellschaftliches Ereignis. Dank dieser Öffentlichkeitsarbeit wurde die Konferenz auch von privaten Personen besucht und unterstützt. Wir hoffen, dass die Pressestimmen ein Echo erzeugten, welches auch bei der Tätigkeit nach der Konferenz wirken wird.
An der Konferenz nahmen Frauen aus verschiedenen Glaubensgemeinschaften Ost-Mitteleuropas teil. Es wurden Vorträge bzw. Kurzreferate von Katholikinnen, Lutheranerinnen, Vertreterinnen der Reformierten, Altchristlichen und Rumänisch-Orthodoxen Kirche, sowie der jüdischen Religionswissenschaften abgehalten. Insgesamt wurden während der Konferenz 45-50 Frauen begrüßt.
Die Hauptsponsoren der Konferenz waren das Ministerium für Unterricht und Kultur (Ungarn) und Stiftung RENOVABIS (Deutschland). Darüber hinaus unterstützen die Konferenz folgende Organisationen: Communicantes, Weltgebetstag der Frauen; Evangelische Frauenhilfe in Westfalen; Schweizerischer Katholischer Frauenbund, sowie private Personen und unterstützende Mitglieder des ungarischen Verbandes.
Einige Titel bzw. Themen der abgehaltenen Vorträge und Kurzreferate:
• Die Würde der Frau – Voraussetzung für die Würde des Mannes. Überlegungen zu Gen. 12, 10-20 und seine Parallelen (Prof. Dr. Jutta Hausmann);
• Anthropology-Feminism: Hermeneutical considerations on theology which is necessarily contextual (Dr. Ferenc Patsch SJ);
• Frauenordination in der Kirchengeschichte (Prof. Dr. Angela Berlis);
• Frauenwürde als Menschenwürde nach dem hl. Cyrill von Alexandrien (Prof. Dr. Lucretia Vasilescu);
• Frauenwürde und das Buch Ezechiels (Dr. Gyöngyi Varga);
• Geschlechterbewusste theologische Anthropologie. Ein Versuch der Systematisierung (Prof. Dr. Elzbieta Adamiak);
• Feminisation and Ethisation linked to the Process of the Humanisation of the World;
• The One and Indivisible Human Dignity in the Thought of István Bibó (Dr. Andras Csepregi);
• The Dignity of Women in the “Household Codes” in the New Testament (Dr. Márta Cserháti).
• Einige weitere Titel der Referate:
• John Paul II’s Concept of Feminity. Philosophical vs. theological aspects;
• Towards an East-European Religious Gender Anthropology...
• Changing Female Roles in the Church and in the World;
• Sibirien: Frauen- und Kinderschicksale - Polinnen im Exil während des 2. Weltkrieges;
• JHWH als Eltern, die besonderen väterlichen und mütterlichen Bezüge des Gottesbildes vom Psalter in einer intertextuellen Lesart der Bibel;
• “Frauenwürde als Menschenwürde”: Die Problematik der Sünde in Tolstois Auferstehung;
• Gesellschaftliche Legitimation der jüdischen Frauen am Anfang des 19. Jahrhunderts; Über Alltag der Frauen im beeinträchtigten Landesgebiet Albaniens usw.
Alternative Formen des Austausches während der Konferenz
Über Vorträge und Kurzreferate hinaus bereicherten die Frauen einander durch gemeinsame spirituelle Erlebnisse während der sorgfältig vorbereiteten, emotionalgeladenen Morgenliturgien. Besonders bewegend war die „Bild“-Meditation, die von den Frauen aus Transsylvanien als Signal der Frauensolidarität mitgebracht wurde.
Auch an den gemeinsamen Kulturabenden konnten die Teilnehmerinnen ihre Kreativität und Gefühle entfalten, indem sie nicht nur als passive Zuschauer dasaßen, sondern an den Volkstanzen und musikalischen Veranstaltungen auch aktiv beteiligten.
In kleinen Teams tauschten die Frauen ihre Erfahrungen bezüglich der Arbeit - und Fortbildungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Theologie und Kulturanthropologie in den ostmitteleuropäischen Ländern. Es wurde festgestellt, dass sich in diesem Bereich bislang keine positive Änderung hören lässt.
Sr. Thea and Rebeka from Croatia |
Zu den wissenschaftlichen Ergebnissen
Am letzten Vormittag wurden zwei kurze Zusammenfassungen zu den wissenschaftlichen Ergebnissen der Konferenz vorgeführt, in denen die Teilnehmerinnen die Forderungen der Frauentheologie gegenüber und ihre eigene wissenschaftliche Sprache zu formulieren versuchten.
Konkret zur Konferenz wurde bemerkt, dass
- die Vorträge viel zu breite wissenschaftliche Bereiche umfassten, so dass es nicht möglich war, zu den einzelnen Referaten eine sachliche Diskussion zu entfalten;
- die Liturgien künftig womöglich an das Hauptthema der Konferenzen abgestimmt werden sollten;
- die Würde der Frauen eher im negativen Rückblick als Frauenleid betrachtet wurde.
Zur Frauenproblematik im Allgemeinen wurde betont, dass sie im positivistisch-wissenschaftlichen Sinne nur negativ vorkommt, d. h. technologisch nicht erfassbar ist. Die Würde der Frauen aus theologischer, ethnisch-religiöser bzw. anthropologischer Sicht konnte daher als Element der Frauenproblematik lediglich negativ angesprochen werden. Nur eine wissenschaftliche Perspektive ist dazu geeignet, solche Frauenproblematik wie die Würde der Frau positiv zu beschreiben. Das ist der feministische Aspekt, der die spezifischen Bedingungen der Frauenexistenz berücksichtigt. Die technologiebezogene abstrakte Wissenschaft von heute strebt nach dem Universalen, was als Androgynie zum Ausdruck kommt. Die Universalität der wissenschaftlichen Sprache prägte auch die von den männlichen Teilnehmern der Konferenz abgehaltenen Vorträge, während die Frauen-Referate spezifische Situationen der Frauen behandelten.
Diese Betrachtungsweise wird in Ost-Mittel-Europa noch nicht, oder lediglich marginal unterrichtet. Es ist nicht einfach, uns aus hemmenden Fesseln männlicher Theologien und anderer ähnlicher Disziplinen zu befreien, und nach feministischen Methoden der Forschung, sowie feministischer Sprache der Beschreibung zu suchen.
Eigene Erfahrungen und spezifisch weibliche Betrachtung sollten künftig die Auslegungen der Bibelthemen prägen, die für uns Feministinnen eben deshalb so wichtig sind, weil sie auch unter säkularisierten Lebensverhältnissen die Einstellungen und Verhaltensweisen beeinflussen können. Die Kirchengeschichte und Kirchenlehre – wenn sie kritisch-feministisch analysiert werden und die aktuelle Existenz der Frauen in der Kirche und in der Gesellschaft betreffen – können weitere Forschungsgebiete der Frauenwissenschaft bilden.
Die feministische Analysensprache scheint immer kritisch zu sein. Sie kritisiert die patriarchalischen Verhältnisse, klassische Theologie und stellt sogar solche Werte in Frage wie die Ehe oder Mythos der Frauenwürde, wie sie von priesterlicher Kirche interpretiert wird. Diesbezüglich wurde Ina Praetorius zitiert, „dass Frauen viel gewinnen können, wenn sie erkennen, dass die Werte, die sie vielleicht lange fraglos als die wahren und rechtmäßig gültigen geglaubt haben, in Wahrheit eine Ordnung repräsentieren, die nicht ihre ist“.(Zitat aus „Skizzen zur feministischen Ethik“).
Es gibt Parallele zwischen feministischer Theologie und nicht theologischen feministischen Zugängen, was auch bedeuten würde, dass man auf bestimmte gemeinsame Anhaltspunkte – wie erinnerungsgeschichtliche Methode oder Kritik der bestehenden ethischen Normen einer ethnisch-religiösen Gemeinschaft – stützen könnte. Und unter Umständen auch zusammenarbeiten, obwohl es heute zwischen beiden feministischen Richtungen viele Differenzen gibt.
Frauen übernehmen heute immer selbstbewusster Forschungen in der Archäologie und sexuellen Zügen der biblischen Sprache und anderer relevanter Texte. Sie zeigen dabei gründliche Kenntnisse nicht nur auf dem Gebiet der Theologie, sondern auch im Bereich der Philologie, Philosophie, Anthropologie, Psychologie usw. Man darf ihre Kenntnisse nicht unterschätzen, doch sollten wir an unserer Ausdrucksweise, an den didaktischen Methoden weiter arbeiten.
Feministische Theologie wurde schon einmal als kontextuelle Wissenschaft bezeichnet (Elzbieta Adamiak, 2003). Gewiss haben die Theologinnen Ost-Europas ihren eigenen Kontext mit allen Vorteilen und Nachteilen, doch zeigten die Vorträge gleichzeitig, dass wir gemeinsame östlich-mittel-westlich-europäische Wurzeln der feministischen Kulturwissenschaft haben und davon auch leben sollten, was einen kontinuierlichen wissenschaftlichen Austausch bedeuten könnte.
Rita Perintfalvi